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Am Geschäft mit Big Data kommt niemand mehr vorbei

“Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde… Und jedermann ging … in seine Stadt.”

Unvorstellbare Kosten hat diese erste Volkszählung verursacht! Anders heute. Daten zu sammeln ist heute so billig, dass wir es tun, ohne es zu merken. Unser Aufenthaltsort, Fahrverhalten, und Gesichtsausdruck, unsere Herzfrequenz, Schlafqualität, und Tippgeschwindigkeit — all diese Variablen werden im Sekundentakt von unseren Handys, Browsern und “wearables” abgezogen. Dank 5G noch hundertmal schneller als bisher.

Die Daten werden von Tech-Firmen nach Indizien durchkämmt, die unsere Zahlungsbereitschaft für alle vorstellbaren Güter und Dienste vorhersagen. Das Ganze hat weniger mit quasi-menschlichem “Denken” zu tun als mit relativ banaler, aber umfangreicher Datenanalyse.

Das ist das “Business of Big Data” — so der Titel meiner Oxford-Vorlesung und meines populärwissenschaftlichen Buches zum Thema. Dieses Geschäft wird lukrativer, je mehr die Kosten für Datenerhebung und -verarbeitung sinken.

Weil diese Kosten für alle Erdenbürger gleichermaßen fallen, werden maschinelles Lernen und KI innerhalb der nächsten Jahre alle Industrien grundlegend verändern — ob die dortigen Entscheider das schon wissen oder nicht. Niemand kann sich vor dieser Welle technologischen Wandels verstecken. Wer nicht auf der Welle reitet, wird überrollt und geht unter.

Die meisten deutschen Firmen scheinen das noch nicht verstanden zu haben, und hinken weit hinterher. Ob unsere Autos mit Diesel oder Elektroantrieb fahren ist zweitrangig. Was am Markt zählt ist Wert der Daten, die Tesla-Fahrer bei jedem Bremsmanöver generieren. Tesla ist nicht zehnmal mehr wert als Daimler, weil sie mehr Autos mit geringeren Spaltmaßen produzieren.

Unsere relativ stringenten Gesetze zum Schutz der Privatsphäre zu brechen stellt eine hinzunehmende, und in der Tat geringe, “cost of doing business” dar. Selbst die kürzlich gegen Google und Amazon verhängten Rekordstrafen in dreistelliger Millionenhöhe entsprechen nicht einmal einem Tausendstel des Marktwerts der gemaßregelten Firmen.

Unsere Wettbewerbshüter waren einst Vorreiter darin, den “tech” Firmen Grenzen aufzuzeigen. Anders heute. Während China aggressive neue Regeln für Tech-Konzerne schreibt und Amerika sowohl Google und Facebook für Marktmachtmissbrauch verklagt, hat die Europäische Kommission Pläne für neue Werkzeuge zum Wettbewerbsschutz aufgegeben. Außerdem gab sie das grüne Licht für den Kauf von Fitbit durch Google’s Mutterkonzern Alphabet. Die Auflage: Fitbits Gesundheitsdaten darf Alphabet nicht zum “targeting” von Online-Werbung verwenden. Sehr wohl aber für andere Zwecke – wie zum Beispiel dazu, Arbeitgeber über das Gesundheitsrisiko seiner Mitarbeiter zu informieren.

Die Eintrittskosten sind gering, auch für Interessierte mit nicht-technischem Hintergrund. Wer also seine Karriere noch nicht vom Kern heraus auf datengetriebene Geschäftsmodelle neu ausgerichtet hat, sollte vielleicht die Feiertage dazu nutzen, sich darüber Gedanken zu machen.

Erstmalig publiziert im Handelsblatt als „Am Geschäft mit Big Data kommt niemand mehr vorbei“ am 24. Dezember 2020.

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